Die Grauen Panther Solothurn setzen sich für Lebensqualität und Mitwirkung älterer Menschen in der Gesellschaft ein. Nach der Coronapause haben sie jetzt wieder ein Programm auf die Beine gestellt. Aber so wie früher ist es nicht mehr.
1993 gegründet haben die Grauen Panther Solothurn seither eine solide Entwicklung vollzogen. Der von Silvia Wälchli gegenwärtig präsidierte Verein verfügt über ein grosses Angebot für seine 263 zahlenden Mitglieder und viele weitere, an Veranstaltungen teilnehmende «Sympathisanten».
Gemäss dem Vereinscredo «Gemeinsam statt einsam» stehen an den regelmässigen Treffen Vorträge, gemeinsame Projekte, Kultur, Ausflüge und Wandern, Freiwilligenarbeit, Solidarität zwischen Jung und Alt, Konversationsübung in Fremdsprachengruppen und eben auch das gemeinsame Spielen im Mittelpunkt.
Ihren Start erfuhr die Seniorenhilfe in der Schule, die inzwischen von Pro Senectute betreut wird, vor vielen Jahren ursprünglich bei den Grauen Panthern. Über besondere Ausstrahlung verfügten stets spannende Gespräche mit Politikern und Politikerinnen, die im Panther-Auditorium jeweils intensiv diskutiert wurden. Der Verein ist stolz auf seine parteipolitische Neutralität.
So geht es nach Corona weiter
«Wandern, Spielen und Sprachgruppen haben infolge der Pandemie nur kleine Pausen eingelegt», betont Irène Privé als Programm-Koordinatorin und Sekretärin im Vorstand. Auf grössere Veranstaltungen habe man aber aus Sicherheitsgründen in den letzten beiden Jahren verzichtet.
Irene Privé, Programm-Koordinatorin und Sekretärin im Vorstand. Foto: Hanspeter Bärtschi
«Mit der 29. Generalversammlung (GV) am 24. Mai im ‹Roten Turm› erfolgt nun nach zwei GV-losen Jahren der Neustart unserer gesamten Vereinstätigkeit», sagt sie.
«Wir hoffen fest, dass unsere Mitglieder wieder Lust auf Begegnung und vielfältige Erlebnisse haben und wie früher zahlreich teilnehmen.»
Auch neue Gäste seien sehr willkommen.
Die Durchführung von Anlässen im künftigen Saal, den die Grauen Panther aktuell bei der Christkatholischen Gemeinde mieten können, müsse jedoch noch einem Eignungstest durch die Mitglieder unterzogen werden. Der Vorstand allerdings, der sich durch Umnutzung des bisherigen Saals im «Adler» in der Vorstadt zum Wechsel gezwungen sah, sei mit der Wahl des Pfarreisaals an der zentral gelegenen Zeughausgasse sehr einverstanden, unterstreicht Privé.
Wechsel im Vorstand
Aus dem Vorstand, dem laut Privé kein «grosser Exodus» bevorsteht, werden an der GV fünf Mitglieder verabschiedet, die sich über Jahre Verdienste um den Verein erworben haben. Zurückgetreten unmittelbar vor Corona waren bereits der bedauerlicherweise gerade verstorbene ehemalige Präsident, Graue-Panther-«Urgestein» Hans Rüd, sowie Aktuarin Brigitte Beeri.
Jetzt folgen der Website-Betreuer Otto Naef, Revisorin Doris Schumacher und Wanderleiter Hanspeter Spycher. Für alle Aufgaben im Vorstand stehen kompetente Graue Panther bereit.
Der Ausblick in die kommenden Zusammenkünfte bis zur Sommerpause verheisst spannende Informationen durch Kantonsoberförster Rolf Manser unter dem Titel «Palmen in Solothurn» (7. 6.), zwei Wanderungen und einen Car-Ausflug an den Bielersee (22. 6.).
von Daniela Deck – Solothurner Zeitung – 5.11.2020
Moderne Kommunikationsmittel können gegen die Vereinsamung helfen, ersetzen aber die persönlichen Kontakte nicht.
In Zeiten von Corona die Isolation von Senioren verhindern: Pro Senectute und Graue Panther ziehen am selben Strick. Die Seniorenorganisationen im Kanton haben die Zeichen der Zeit früh erkannt. So haben die Grauen Panther Solothurn und Umgebung ihre Veranstaltungen schon abgesagt, ehe der Bund die Schraube wieder anzog. Jetzt setzen sie auf die Gemeinschaft im kleinen Kreis bis vier Personen. Spielen, Spazieren und zusammen essen, heisst die Lösung. Das wichtigste, da sind sich Pro Senectute und Graue Panther einig: Man muss den Leuten Mut geben, damit sie sich nicht in der Angst verlieren. Denn eine eingesperrte oder selbstisolierte Bevölkerungsgruppe, wie im Frühling, soll es nicht mehr geben. Derzeit droht jedoch vor allem eine andere Gefahr: ein Technologiegraben quer durch die Rentnergeneration. Deshalb wünscht sich Irène Privé, Sekretärin der Grauen Panther Solothurn, dass die digital vernetzten Senioren die übrigen nicht abhängen.
Unterschiede innerhalb der Grauen Panther «Bei zwei Dritteln unserer Adressliste findet die Kommunikation immer noch auf dem Postweg statt», sagt Privé. «Mir ist es ein Anliegen, dass die ‹Digitalen› nicht bevorzugt werden und die übrigen zu kurz kommen.» Das bescherte ihr vor zwei Wochen einiges an Mehrarbeit: Über 100 Briefe mit dem neuen Veranstaltungsprogramm, versandbereit zugeklebt, mussten nochmals geöffnet und mit dem Mitteilungsblatt zur Pandemiesituation versehen werden. Während die Panther-Familie in Solothurn auf eine Mischung aus Geselligkeit mit Wandern und Jassen einerseits und Vorträgen andererseits setzt, alternierend alle 14 Tage, sind die Grauen Panther in Olten konsequent auf Kultur und anspruchsvolle geistige Kost ausgerichtet. «Unsere Mitglieder sind selbstständig, vif und vernetzt», sagt Präsident Ruedi Fasnacht. Vereinsamung durch mangelnde Erreichbarkeit per E-Mail sei deshalb bei den 130 Panthern in Olten kein Thema. Angebote wie «Skype» und «Jitsi Meet» können den persönlichen Kontakt nur ergänzen, nicht ersetzen. Auch Fasnacht ermutigt Rentnerinnen und Rentner «so viel als möglich an die frische Luft zu gehen, auch in Begleitung. Das Leben muss weiter gehen, in einer gesunden Vielfalt».
Die Pro Senectute sieht sich mit der Aufgabe konfrontiert, betagte Mitmenschen auf dem Weg ins Internet zu begleiten. Ida Boos, Geschäftsführerin von Pro Senectute Kanton Solothurn, nimmt kein Blatt vor den Mund: «Durch die Umstände werden die Senioren auf den digitalen Weg gezwungen. Unsere Aufgabe besteht darin, sie gezielt zu unterstützen.» Das beginne vielfach nicht am Computer, sondern mit dem Antrag auf eine Kreditkarte. Diese bildet die Voraussetzung für Internetkäufe. Boos erklärt: «Unsere Digital Coaches, selbst Senioren, gehen bei Bedarf zu einer Person nach Hause, um Geräte einzurichten und Anleitungen zu geben.» Bei Personen, die schon auf dem Netz sind, gehe es oft nur darum, Hilfestellung für Programme wie «Zoom» zu geben. Es sei ein grosses Glück, dass sich gerade jetzt immer wieder neue Coaches rekrutieren lassen. Via Hotline, die seit dem Frühling auf Hochtouren läuft, wird die Bedarfsabklärung gemacht. Auch Angehörige melden sich mit verschiedenen Anliegen ihrer Senioren, von Vereinsamung bis zu finanziellen Schwierigkeiten. Die Geschäftsführerin betrachtet die gesellschaftlichen Einschränkungen auch als Chance. «Durch den Technologieschub können wir die 65-Jährigen in allen 109 Einwohnergemeinden im Kanton erreichen, sofern sie digital erschlossen sind.» Das treffe für zwei Drittel der Senioren zu, wie die Studie «Digital Seniors» der Universität Zürich jüngst aufgezeigt habe. «Diese Gunst der Stunde gilt es zu nutzen.»
Freiräume gezielt ausnutzen, auch in der Schule Keine Selbstbeschränkung. Dieser Maxime lebt die Pro Senectute nach, indem jeder Kurs, der durchgeführt werden darf, auch wirklich durchgeführt wird. Wenn immer möglich geschieht das vor Ort mit entsprechenden Schutzmassnahmen. Sonst kommt «Zoom» zum Einsatz, etwa für die Sprachkurse. Das Café Balance findet so halt ohne Kaffee und Kuchen statt. Eine zentrale Bedeutung geniessen die Bewegungspatenschaften, bei denen man zu zweit spazieren oder einkaufen geht. uch aus dem Klassenzimmer will die Pro Senectute die Senioren nicht zurückpfeifen. Bevormundung und sei sie noch so wohlmeinend, ist für die Pro Senectute-Geschäftsführerin ein Unding. Hingegen müsse man die Entscheidungen von Schulen respektieren, temporär auf die Dienstleistung im Schulzimmer zu verzichten. Sie ist überzeugt: «Seniorinnen und Senioren dürfen an ihre eigenen Fähigkeiten glauben. Denn davon haben sie eine Menge.» Einen praktischen Tipp hat sie für das dritte Lebensalter parat: «Sorgen Sie für einen kleinen Vorrat haltbarer Nahrungsmittel im Haus. So sind Sie für alles gewappnet, auch für winterliche Wetterkapriolen.» Welche Nahrungsmittel im Vorrat Sinn machen, darin seien gerade die Senioren wahre Profis. Denn, so erklärt Boos: «Das gehört zu dem Wissen, das früher von Generation zu Generation weitergegeben wurde.» So komme die Kompetenz der Senioren jüngeren Leuten zugute; der Kreislauf der gegenseitigen Unterstützung schliesst sich.
Hans Christen vor zwei Bildern mit Sujets aus Solothurn.
Hans Christens Rückschau auf sein 75-jähriges künstlerisches Schaffen wird im Schloss Buchegg gezeigt. Die ausgestellten Bilder laden ein zu einer Schweizreise vom Jura bis ins Tessin, aus Graubünden bis ins nahe Italien zu bekannten Orten und Motiven. Rund 500 Bilder als Zeichnungen, Aquarelle und Ölbilder habe er gemalt, errechnet der Solothurner Hans Christen zur Eröffnung seiner Ausstellung im Schloss Buchegg. Nicht einbezogen sind die vielen von ihm künstlerisch ausgeschmückten Einladungen, Briefe und persönlichen Mitteilungen. Als ausgebildeter Lithograf, dessen Talent sein Bezirksschullehrer in Rothrist erkannt hatte, wurde er in Weiterbildungen, beruflicher Tätigkeit und in Kursbesuchen bei wichtigen Förderern immer vertrauter mit der exakten Abbildung von Objekten und in der Kalligrafie vieler alter Schriften. Aber Hans Christens Werke, die er auf den drei Ebenen von Schloss Buchegg ausstellt, spiegeln keinen nüchternen Fotorealismus. Sie sind vielmehr durchdrungen von einem liebenden Blick auf die vielen Sujets, denen er damit auch mit dem Auge des Betrachters einen wertschätzenden Blick verleiht. Dieses Sehen, Erleben und Spüren überträgt sich unmittelbar. Die ausgestellten Bilder laden ein zu einer Schweizreise vom Jura bis ins Tessin, aus Graubünden bis ins nahe Italien zu bekannten Orten und Motiven, deren Darstellung jeweils bezaubert. «In Familienferien haben wir viele malerische Ecken in unserem Land gefunden», sagt der Künstler.
Der Künstler liebt die Stadt Solothurn
Da sind Zeichnungen der charaktervollen Bäume in und um Solothurn, herzerwärmende Ansichten dieser seiner Stadt mit ihren herausragenden historischen Gebäuden und eben viel Natur. Hans Christen hat in der lebendigen Gestaltung von Landschaften, von Blumen und Pflanzen einen Schwerpunkt seiner Arbeit in verschiedenen Techniken gelegt. «Eigentlich bin ich kein Aquarellist, sondern ein Pinselzeichner», kennzeichnete er eine seiner Malweisen, die wie die Solothurner Stadtbilder mit Federn, geschnitzt aus Bambusholz, entstanden sind. Geübt war er auch im Einsatz des Spachtels. Vor den Beteiligten der Vernissage berichtete er von zahlreichen heiteren Begebenheiten, die sich häufig beim Malen in freier Natur zutrugen. Als Sechzigjähriger habe er sich pensionieren lassen, um sich noch mehr seiner Kunst widmen zu können. Aber das war kaum ausschliesslich möglich, denn 1993 war er Gründungspräsident der Grauen Panther Solothurn, die er engagiert 20 Jahre lang leitete. So bedeutete neben dem Kontakt mit Menschen für ihn Malen und Eintauchen in seine künstlerische Welt «absolute Erholung», wie er an der Vernissage unterstrich. Organisiert hat die Ausstellung im Schlossturm Hans Christens Tochter Magdalena Junker. Die Feierstunde unter freiem Himmel umrahmte das Flötenquartett Sonatella, in dem sie mitspielt. Namens der gastgebenden Stiftung Schloss Buchegg begrüsste deren Vizepräsident Alex Erdiakoff zur – coronabedingt – ersten Ausstellung dieses Jahres. Er verband dies mit einem kurzen Exkurs in die Historie des Schlosses, die diesen Kraftort, wie er schmunzelnd anfügte, zum «Rütli» im Bucheggberg mache.
Die Kandidaten, die vor den Grauen Panthern debattierten
Die Grauen Panther Solothurn liessen in einer Wahlkampfveranstaltung sieben Kandidierende in den Debattier-Ring. Die Spielregeln für die Vorstellung der Kandidierenden legte die frühere Politikerin Marguerite Misteli als Moderatorin der öffentlichen Veranstaltung im Adler-Saal fest. Sie befragte Franziska Roth (SP), von Beruf Heilpädagogin, Susan von Sury (CVP), diplomierte Biologin, Stefan Nünlist (FDP), der sich als Kommunikationsbeauftragter der Swisscom vorstellte, den Mathematiker Georg Aemissegger (GLP), Primarschullehrer Elia Leiser (EVP), Agronom Christoph Schauwecker (Grüne) und den Anwalt Rémy Wyssmann (SVP). Sie alle waren von ihren Parteien an das Wahlpodium der Grauen Panther delegiert worden, dem Ständeratskandidat Christian Imark aufmerksam zuhörte. In kurzen Statements stellten alle Referierenden ihre politischen Anliegen vor. Wyssmann: «Dort etwas ändern, wo politisch der Schuh drückt und was ältere Menschen bevormundet.» Nünlist: «Das freisinnige Erfolgsmodell in Freiheit, Fortschritt und Bildung weiterführen.» Aemissegger: «Für den Klimaschutz zukunftsträchtige Technologien entwickeln.» Von Sury: «Brückenbauerfunktion zwischen allen Parteien, Familien- und Alterspolitik.» Schauwecker: «Konsequente Umwelt- und Verkehrspolitik, Elternzeit, Ehe für alle.» Roth: «Gleichstellung, faire Löhne und Renten, Bildung, Klimaschutz, Gesundheitsversorgung und Krankenkassenprämien. Wichtig auch, eine weibliche Vertretung aus Solothurn – damit nicht eine reine Männerwahl droht.» Aus allen Voten ging das Ziel hervor, die Schweiz als Kultur- und Wirtschaftsnation zu stärken.
Vielfältige Anliegen kamen zur Sprache Nünlist ging auf die CO2-Abgabe für fossile Brennstoffe ein, die er als kein einfaches Thema bezeichnete. «Wir müssen die Bedürfnisse unserer Mitbürger, aber auch diejenigen der Wirtschaft berücksichtigen und entsprechende Technologien entwickeln.» Zu Fragen um das Rahmenabkommen mit der EU positionierte sich Roth als Gewerkschafterin «mit Leib und Seele» in Sachen Lohnschutz, aber eindeutig auch für den bilateralen Weg; den aufzugleisen sei jetzt Sache des Bundesrats. Von Sury sprach sich für neue Organisationsformen in Gesundheitspflege und Altersbetreuung sowie die Förderung der Freiwilligenarbeit aus. Wyssmann knüpfte daran an, störte sich aber am falschen Anreizsystem bei Spitälern und Versicherungen und kritisierte die «exorbitanten» Löhne bei dortigen Spitzenpositionen. Beim Stichwort Rentenalter unterstrich Leiser eine nötige Anhebung, um künftige Leistungen bezahlen zu können. Die angesprochene Arbeitslosigkeit und Stellensuche bei 55plus könne man nur bekämpfen, wenn das Wegrationalisieren von Stellen aufhöre, meinte Wyssmann. Zwar sei die Rentenfrage nicht Kernthema der GLP, erläuterte Aemissegger; doch hier wären neue Konzepte denkbar wie Mehrwertsteuer für die AHV und die Anpassung des zu hohen Umwandlungssatzes für die zweite Säule. «Wir in der SP wollen Ungerechtigkeiten in der Rente bekämpfen», entgegnete Roth.
Über den Eigenmietwert herrschte grosse Einigkeit Gemäss Wyssmann sollte sich Arbeit nach 65 Jahren künftig lohnen. Schauwecker betonte, dass eine heutige Politik so gestaltet werden müsse, dass künftige Generationen nicht darunter leiden, aber ältere Menschen heutzutage nicht diskriminiert werden. Eine gesellschaftliche Durchmischung der Wohnformen wäre da nützlich, so von Sury. Angesichts der Steuerbelastung für kleine und mittlere Einkommen im Kanton Solothurn erstaunte die Zuhörenden, dass die Progression ab einem Verdienst von 320’000 Franken hier aufhört. «Wir müssen das Steuersystem unbedingt anpassen und nicht ‹unten› mehr einzunehmen versuchen», bekräftigte Roth. Grosse Einigkeit herrschte auf dem Podium zur dringend notwendigen Abschaffung des Eigenmietwerts. Ein weit gediehener diesbezüglicher parlamentarischer Vorstoss sei von den kantonalen Finanzdirektoren abgewürgt worden, wusste Wyssmann.
Der Appell, Unabhängige zu wählen In der Schlussrunde betonten alle Kandidierenden nochmals ihre Ziele: von Mithilfe bei der Lösungssuche (von Sury), ihrer Dialogbereitschaft (Roth), dem griffigen Klimaschutz (Schauwecker), einem Engagement für Umwelt und Wirtschaft (Aemissegger), einer Strategie mit Augenmass und Mut (Nünlist) bis zum Wyssmann-Appell, Unabhängige zu wählen, die nicht lobbymässig gebunden sind.
Polit-Urgestein Marguerite Misteli am Solothurner Aaremürli, wo sie als Studentin gearbeitet hat und heute noch viele Leute kennt.
Sie sei keine Feministin, sagt Marguerite Misteli. Lange habe sie nicht gewusst, was Frauen meinen, wenn sie von fehlender Gleichberechtigung sprechen. Warum die 74-Jährige 1991 trotzdem eine Rede am ersten Frauenstreik hielt – und das 2019 wieder tut. 14. Juni 1991. Marguerite Misteli steht vor dem Naturmuseum auf dem Klosterplatz in Solothurn. Ein violettes Röckli hat sie an, dicke Locken umrahmen ihren Kopf. Sie spricht darüber, dass Frauen weniger verdienen als Männer. Dass Frauen den grössten Teil unbezahlter Arbeit übernehmen. Dass sich die Situation von Frauen in der Dritten Welt ändern muss – aber auch hier.
Marguerite Misteli, Urgestein der Solothurner Politik, hält am Frauenstreiktag 1991 eine Rede
1991 ist Misteli 46. Knapp ein Jahr ist sie zurück von einem zehnjährigen Aufenthalt in Moçambique, wo sie als Stadtplanerin gearbeitet hat. Kurz nach dem Frauenstreik wird die Solothurnerin die erste Grüne Nationalrätin werden. Gemeinderätin war sie im Jahr 1973 schon. «Gerechtigkeit – das ist seit jeher mein Thema», sagt Misteli. Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern war für sie am Anfang aber nicht von Belang.
Frauenstreiktag 1991 in Solothurn – hier vor der St.-Ursen Kathedrale
Heute ist Misteli 77. «Miguel» wird sie genannt, als Abkürzung für Marguerite. «Mängisch redeni wienes Buech.» Sie erscheint in schwarzem Oberteil und Hose, mit rotem Cardigan und roten Ohrringen. An der Bluse prangt ein Button «Frau streikt.» Typische Feministin sei sie nicht. Und: «I bi ke klassischi Linggi», sagt Misteli auch.Theorien von Marx finde sie interessant – «aber auch der hat seine Frau betrogen, seine Haushälterin ausgenutzt.» Die Ausbeutung der Frauen durch die Männer finde sie «genauso wichtig wie diejenige der Arbeit durch das Kapital». Das verdeutlichten Misteli ihre unzähligen Aufenthalte im Ausland: In Moçambique, Südafrika, Mazedonien, Serbien und Kuba hat sie schon gelebt und gearbeitet. Zuvor habe sie «in einer Blase des reichen industrialisierten Erdteils gelebt». Wenn Frauen in den 70er-Jahren von fehlender Gleichberechtigung sprachen, dachte sie: «Was hat die denn – mach doch einfach!» Misteli bezeichnete sich damals selbst als Macherin.
Streikende Frauen, Männer und Kinder versammelten sich am Frauenstreiktag 1991 auf dem Solothurner Klosterplatz vor dem Naturmuseum.
«Männlich sozialisiert» Misteli wuchs in einem bürgerlichen Elternhaus auf – der Vater kam aus einer Solothurner FDP-Familie; die Mutter aus einem Luzerner CVP-Haus. Sie sei durch ihre drei jüngeren Brüder «männlich sozialisiert worden», gerne im Wald und auf dem Fussballplatz gewesen – mit «Bäbis» – wie ihre sechs Jahre jüngere Schwester – habe sie nie gespielt. Klassische Rollenbilder kannte sie nicht. Obwohl die Mutter damals noch nicht abstimmen durfte. Dafür besprachen die Eltern Abstimmungsvorlagen jeweils, wobei oft die Mutter das letzte Wort hatte. Die Mutter der fünf Kinder starb als Misteli 14 war. Der Vater nahm sich drei Jahre später das Leben. Misteli hatte als Älteste die Verantwortung über die jüngeren Geschwister. Sie wohnten alleine weiter in ihrem Haus in Bellach. «Das erste autonome Jugendzentrum der Region», scherzt sie. Misteli schloss die Schule ab, studierte Architektur an der ETH in Zürich. Gedanken um Gleichberechtigung machte sie sich nicht. Sie wusste nur: «Heiraten will ich nie» – sie wollte nicht, dass ein Mann bestimmte, wo sie lebte, und was sie arbeitete. Das Studium finanzierte sie sich mit Stipendien und Arbeit im Service. Sie war damals bei der Gründung der Genossenschaft Kreuz dabei. Noch heute grüsst sie im Landhaus Viele, bestellt einen grossen Milchkaffe, der auf ihre Anregung hin hier auch im 3dl Glas bestellt werden kann.
Aus «Groll» gestreikt Aus der «Blase» trat Misteli aus, als sie zehn Jahre in Moçambique verbrachte. Selbst sei sie nie belästigt oder unterdrückt worden. In Afrika hat sie aber Bilder gesehen, die ihr bis heute nicht aus dem Kopf gegangen sind. Frauen, die auf den Knien rutschend ihrem Mann den Tee brachten. Frauen, die die Kinder grossziehen, weil die Männer gar nicht mehr da sind. Frauen, die für das Überleben eines Volkes zuständig sind, wie Misteli schliesslich auch in ihrer Rede am Frauenstreiktag 1991 berichtete. In der Schweiz, so dachte Misteli vor der Rückkehr, sei die Situation doch ganz anders. «Dann hat es mich aus den Socken gehauen.» Das Stimmrecht hatten die Frauen seit 1971 zwar. Auch das Eherecht war 1985 geändert worden. Und doch: «Da war noch viel Groll», sagt Misteli. Laut ihren damaligen Berechnungen verdiente weltweit gesehen ein Mann 18 mal mehr als eine Frau für die gleiche Arbeit. Frauen passten auf die Kinder auf, Frauen betreuten Eltern und Grosseltern ohne Bezahlung. Ein Mann hingegen musste «gut verdienen», um die Frau ernähren zu können. Dieses Bild habe sich in der Schweiz nur langsam geändert, so Misteli. In anderen Ländern, wo nach Zerstörungen des 2. Weltkriegs auch die Frau mitarbeiten musste, sei es schneller vorwärts gegangen. Eine Bewegung gab es in der Region auch, als man hier von den Kriegsverbrechen im Jugoslawienkrieg erfuhr. Tausende von Frauen wurden damals vergewaltigt. Mit diesem «Groll» streikten die Frauen – Misteli mittendrin. Im Herbst wurde sie dann in den Nationalrat gewählt. Kandidiert hatte sie für die Grünen, die mit einer reinen Frauenliste ins Rennen gingen – die männlichen Kandidaten hatte man kurz zuvor von der Liste geworfen. Bis 1995 war Misteli im Parlament. Von 2011-2015 sass sie im Kantonsrat; bis heute im Gemeinderat. Im Alter müsse man etwas zurückschrauben. Engagieren für den Frauenstreik will sie sich aber auch heute. Misteli hat einen Artikel der WOZ mitgebracht. «Das ist doch unterhört», sagt sie. Im Artikel steht, der gesamte unerklärbare Lohnunterschied in der Schweiz betrage 12 Milliarden Franken zwischen Mann und Frau. Das wolle sie in ihrer Rede am 14. Juni thematisieren. Und auch die unbezahlte Pflegearbeit, die heute noch meist von Frauen ausgeübt wird. «Ich knüpfe an das an, was ich damals gesagt habe», erklärt Misteli. Frustrierend? «Wissen Sie», sagt sie gelassen, «an die Umstellung von Schreibmaschine auf Computer hat sich Mann schnell gewöhnt. Aber die Änderung von Verhaltensweisen, das braucht schon eine Generation.» Auch wenn diese seit dem letzten Frauenstreik eigentlich vorbei sei. Misteli ist am 14. Juni die letzte ihrer Generation – die 1991 eine Ansprache hielt und das nun wieder tut. Die Rede muss sie noch schreiben. Das violette Röckli, das sie 1991 trug, hat sie zwar nach wie vor – ob sie es anzieht, weiss sie noch nicht. Es sei etwas locker geworden über die letzten Jahre.