in Artikel aus der Broschüre „PROINFO“, Wissenswertes über die Stadt Solothurn, 13. Jahrgang 2017 – 25 Jahre Verlag PROINFO
„Hey, Alter!“, ist eine beliebte Begrüssung unter Jungen, die man bei jeder Gelegenheit hören kann. Eigentlich eine sonderbare Anredeform, wenn man in Betracht zieht, dass in der heutigen Zeit die „ewige Jugend“ ein durchaus erstrebenswertes Ziel für viele darstellt. „Hey, ewig Junger!“, wäre als Formel wohl einiges aktueller und schmeichelhafter.
Doch die Jungen grüssen mit: „Hey, Alter!“ und verstehen diese Bezeichnung durchaus nicht despektierlich, denn „alt“ wird hier nicht mit gebrechlich oder veraltet gleichgesetzt. Dem Phänomen „Alter“ rechnen die Jungen die Stärken der Erfahrung, Unaufgeregtheit – jugendsprachlich: Coolness – und Übersicht zu. „Hey, Alter!“ ist somit eigentlich ein Ehrentitel.
Wir Älteren können uns ja daran erinnern, dass man sich in jungen Jahren gern einmal etwas älter gegeben hätte. Nicht nur beim Kinoeintritt ab 16 Jahren hat man als Heranwachsender eine beschleunigte Alterung herbeigesehnt; nein, auch bei der Bewältigung grosser Lebensfragen wäre man gern etwas reifer gewesen, obwohl man das nie zugegeben hätte. Ein Wunschzustand, den man Jahre später mit Blick auf die eigene Jugend mit einem Schmunzeln quittiert.
Ein Wunschzustand, der nach einigen Jahren der sichtbaren Alterung regelmässig in die Gegenrichtung umkippt: „Oh, wie war das früher noch ganz anders, als ich noch jung war!“ „Ja, was haben wir nicht alles angestellt, als wir noch jung waren!“ Eine grosse Portion Wehmut durchtränkt den verklärten Blick zurück und kumuliert nicht selten in die unverschämteste aller Behauptungen: „Früher war alles besser!“
„Früher war alles besser!“, diese haltlose Floskel bekommt man tagtäglich zu hören. Eine unbedachte Aussage, die jeden Jahreswechsel zu einem Horrorszenario verkommen lässt. Was kann mir die Zukunft schon Erstrebenswertes bringen, wenn früher doch alles besser war. Dieser ewige Blick zurück, der die Gegenwart und erst recht die Zukunft ohne angemessene Beachtung verkümmern lässt. Ein Statement, das anzeigt, dass man nicht alt sondern veraltet ist und nun wirklich zum alten Eisen gehört. Eine Bankrotterklärung, bei der jegliche Vorteile des Alters verspielt werden.
„Hey, Alter!“ ist eine Begrüssung, die im Kreis der „Grauen Panther“ seine Berechtigung hätte, obwohl man sich dort mit unterschiedlichsten Aktivitäten jung hält. Ein Verein, in dem sich seit 1993 reifere Menschen aus der Region Solothurn einmal in der Woche treffen. Die „Grauen Panther“ zählen über 300 Mitglieder und veranstalten Vorträge, Besichtigungen, Spielnachmittage, Wanderungen und andere Projekte. Die Floskel: „Früher war alles besser“ hat bei den „Grauen Panthern“ keine Chance zum offiziellen Motto zu werden. Der Blick ist in dieser Non-Profit-Organisation nicht rückwärts gerichtet und Nostalgie gehört nicht zum offiziellen Vereinsprogramm. Die Gegenwart zählt und auch der Zukunft wird ein hoffnungsvoller Blick geschenkt.
Das Altern ist ein gesellschaftliches Thema. Gegen den Alterungsprozess werden unzählige Salben, Pillen und Ernährungstricks angeboten. In den vergangenen Jahren hat sich eine richtige „Anti-Aging-Industrie“ etabliert, mit der Milliarden an Umsatz generiert werden. Mit allen möglichen Hilfsmitteln möchte man dem Altern ein Bein stellen, doch die Verführten kommen dabei unweigerlich selbst zu Fall. Ein künstlicher Alterungsstopp oder gar eine Verjüngung ist eine der grossen Illusionen unserer Zeit. Wer sich die ewige Jugend erschleichen will, der sieht plötzlich ziemlich alt aus, denn die erwünschte „ewige Jugend“ kann man treffender als „ewige Naivität“ bezeichnen.
Alt und ausrangiert will jedoch niemand sein. Ein Wundermittelchen gibt es dagegen und die „Grauen Panther“ machen rege Gebrauch davon: Der gegenseitige Austausch, das Knüpfen eines sozialen Netzwerkes, erhalten die Mitglieder aktiv und lebensfreudig. Zusammen geniessen können, zusammen ins Gespräch kommen und auch einmal verschiedene Meinungen debattieren, das ist ein Lebenselixier sondergleichen. „Hey, Alter!“ wird dabei unweigerlich zu einem Ehrentitel, weil er neben Erfahrung und Realitätssinn auch die grundlegende Stärke verrät, sich richtig einzuschätzen und sein Potential optimal zu nutzen.
Reto Stampfli 7.1.2016